Die schnellste Gen-Tomate der Welt

2. November 2018 / In einem im Oktober 2018 veröffentlichten Aufruf fordern rund 75 Experten, manche im Namen von gesamten Forschungsinstituten, Pflanzen, die mit Hilfe der neuen Gentechnikverfahren (oder wie es dort heißt: „Präzisionszüchtung“) in ihrem Erbgut verändert wurden, von der Gentechnikregulierung der EU auszunehmen. Das Argument: Mit Genome Editing gingen keine nennenswerten Risiken einher und die Technologie sei für die Sicherung der Ernährung alternativlos. Damit stellen sie sich gegen eine aktuelle Entscheidung des EU-Gerichtshofes vom Juli 2018.

Es ist berechtigt und notwendig, in Zusammenhang mit den neuen Gentechnik-Methoden, die auch Genome Editing genannt werden, mehr Forschung zu fordern – immerhin geht es um mächtige Werkzeuge wie CRISPR-Cas, die erst seit wenigen Jahren bekannt sind. Mit diesen neuen Methoden gehen viele neue Möglichkeiten für Veränderungen des Erbgutes von Pflanzen und Tieren einher.

Leider gibt es aber berechtigte Zweifel daran, dass es allen unterzeichnenden Experten und Instituten ganz allgemein um die Erforschung der neuen Gentechnik geht und sie keine eigenen Interessen an der Entwicklung und Anwendung entsprechender Verfahren haben. Oft wird ausgeblendet, dass auch anerkannte wissenschaftliche Institutionen eben nicht im luftleeren Raum forschen, sondern ganz spezielle eigene Interessen, beispielsweise an Fördermitteln und Patentanmeldungen, haben.

Alle Akteure rund um das Thema Gentechnik haben Ziele und Interessen. Und sie ringen um die Deutungshoheit. Vergleicht man aber Ziele und Interessen von Umweltorganisationen mit denen der Forschungsinstitute, muss man feststellen, dass es einen wesentlichen Unterschied gibt: Umweltorganisationen sind in der Regel unabhängig von den Interessen der Anwender und Entwickler der Gentechnikverfahren und von Konzernen wie Bayer. Zudem gibt es eine deutliche Asymmetrie, was verfügbare Ressourcen und den Zugang zu Medien, Behörden und Politik betrifft.

Betrachtet man die Entwicklung aus der Perspektive der Forschungsinstitute, geht es jetzt darum, auf jeden Fall dabei zu sein, wenn es um Forschungsgelder und Patente geht. Das ist legitim und erwartbar, so funktioniert der Forschungsbetrieb. Wenn es um die Bewertung der Risiken und die Regulierung der neuen Technologien geht, führen diese Rahmenbedingungen aber zu einem Interessenkonflikt. Die Institute sollten ihre jeweiligen Interessen bei der Unterzeichnung des Aufrufes deswegen klar benennen und nicht die Anpassung an den Klimawandel als hauptsächliches Motiv in den Vordergrund stellen. Anders als in der Erklärung suggeriert, arbeiten viele Forschungsinstitute nicht gegen die Interessen der großen Gentechnik-Konzerne und für eine freie Forschung, sondern sind oft Partner der Industrie und können beispielsweise durch Lizenzeinnahmen auch an patentiertem Saatgut mitverdienen.

Ginge es tatsächlich in erster Linie um Faktoren wie die Anpassung an den Klimawandel, müsste man ja auch fragen, welche anderen züchterischen Methoden und Fortschritte es bereits gibt. Tatsächlich würde man dann feststellen, dass es Alternativen gibt und die Züchtung nicht völlig neu erfunden werden muss. Genetische Vielfalt ist – anders als in der Stellungnahme suggeriert – dabei keineswegs von Nachteil.

Gefragt wird auch nicht, ob es nicht vielleicht doch auch – wie das EU-Gericht festgestellt hat – gute Gründe gibt, die neue Gentechnik zu regulieren. Dabei sind die Gründe offensichtlich. Mit den neuen Methoden können auch dann radikale Veränderungen herbeigeführt werden, wenn keine zusätzlichen Gene eingefügt werden. Ein Beispiel: 2018 wurde berichtet, dass es mithilfe der CRISPR-Methode gelungen ist, bei Tomaten mehrere Gen-Veränderungen durchzuführen. So entstanden, innerhalb kurzer Zeit, aus wilden Verwandten der Tomate, die kleine Früchte tragen, Pflanzen, die wie über viele Jahre hinweg gezüchtete, große Tomaten aussehen. Obwohl dabei keine zusätzlichen Gene eingeführt wurden, sind die Auswirkungen auf Wuchs, Größe und Inhaltsstoffe enorm. Man könnte das Ergebnis die "schnellste Gen-Tomate der Welt" nennen.

Wie wir alle wissen, erfordert erhöhte Geschwindigkeit mehr, nicht weniger Kontrollen. Ob derartige Tomaten nur wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen aussehen, oder ob sie tatsächlich auch so sicher sind, kann nur durch eingehende Untersuchungen geklärt werden. Kämen die neuen Pflanzen ohne Regulation und Risikoprüfung auf den Markt, wüsste kein Landwirt und kein Gärtner, was er da anbaut. Die VerbraucherInnen verlören jede Wahlmöglichkeit. Und nicht einmal die Behörden wüssten, welche Pflanzen aus welchen Ländern importiert werden und wonach sie suchen müssten, wenn sich die genveränderten Pflanzen tatsächlich unkontrolliert ausbreiten und oder sogar Schäden verursachen würden.

Neue Gentechnikverfahren unter Verwendung von Werkzeugen wie CRISPR & Co könnten schon in naher Zukunft dafür sorgen, dass innerhalb kurzer Zeiträume eine große Anzahl von Pflanzen und Tieren mit neuen biologischen Eigenschaften auf die Äcker und in die Ställe kommen. Während die bisherige Züchtung über viele Jahre und Schritt für Schritt neue Sorten entwickelt, kann die Gen-Schere CRISPR auf einen Schritt mehrere Kopien eines Gens und auch mehrere, unterschiedliche Gene gleichzeitig verändern. So können in kurzer Zeit unter anderem Nutzpflanzen erzeugt werden, die viele neue Eigenschaften haben, ohne dass es wie bei der bisherigen Züchtung die Möglichkeit gibt, schrittweise Erfahrung zu sammeln. Und auch wenn einige Ergebnisse der neuen Gentechnik denen der herkömmlichen Züchtung ähnlich sein können, heißt das nicht, dass auch die Risiken wirklich vergleichbar sind. Dass Pflanzen, die mithilfe der neuen Gentechnik in ihrem Erbgut verändert werden, in jedem Falle sicherer sind als solche aus bisheriger Züchtung, ist jedenfalls reine Propaganda, von der sich jedeR WissenschaftlerIn deutlich distanzieren sollte. Trotzdem wird das in dem Aufruf so behauptet.

Fazit: Wer Pflanzen und Tiere, die in ihrem Erbgut mit Hilfe der neuen Gentechnikverfahren verändert wurden, ohne verbindliche Risikoprüfung und Kenntlichmachung auf den Markt bringen will, ist wohl nicht in erster Linie an grundlegenden Erkenntnissen und somit an Wissenschaft interessiert, sondern vielmehr an speziellen Anwendungsmöglichkeiten und deren Vermarktung. Damit handelt er/sie nicht im Interesse der Allgemeinheit, sondern verfolgt partikulare Interessen.

 

Link zur Petition: http://www.vib.be/en/news/Pages/European-scientists-unite-to-safeguard-p...


Link zum Artikel Gen-Tomate: https://www.nature.com/articles/nbt.4272