Das Problem mit der Gentechnik und der unabhängigen Risikoforschung in der EU

Die EU muss dem Schutz von Mensch und Umwelt mehr Gewicht geben

18. 10. 2019 / Das EU-Parlament hat in den letzten Jahren rund 40 Resolutionen gegen weitere Importe von gentechnisch veränderten (GV) Pflanzen verabschiedet. Dabei wird auch kritisiert, dass die Risikoprüfung durch die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) unzureichend ist. Ähnliche Kritik äußern auch die Experten verschiedener Mitgliedsländer. Trotzdem genehmigte die EU-Kommission alle Zulassungen. Dieses undemokratische und wissenschaftlich fragwürdige Vorgehen resultiert unter anderem aus einer viel zu einseitig ausgerichteten Forschungslandschaft der EU.

In der EU sind GV-Organismen ein kontroverses Thema, insbesondere wenn diese in die Umwelt freigesetzt werden oder für die Erzeugung von Nahrungsmitteln verwendet werden. Dabei ist die Abschätzung die Risiken für Mensch und Umwelt von herausgehobener Bedeutung. Die Debatte über diese Risiken wird derzeit aber weitgehend von der Gentechnik-Industrie beherrscht. Sie finanziert die meisten Forschungsprojekte an transgenen Pflanzen und liefert die Daten für die Zulassungsprozesse. Ihr Ziel ist es dabei, den Eindruck zu erwecken, dass die Risiken beherrschbar und die vermarkteten Produkte sicher seien. Was den Aufbau einer Risikoforschung betrifft, die unabhängig von diesen Akteuren ist, hat die EU bisher weitgehend versagt. Derzeit gibt es in diesem Bereich keine Forschungsprogramme, deren Schwerpunkt der Schutz von Mensch und Umwelt ist. In der Folge besteht die Gefahr, dass durch das gegenwärtige Zulassungssystem Risiken und wichtige Forschungsergebnisse übersehen werden.

Im Gegensatz zur derzeitigen Prüfpraxis und Entscheidungsfindung in der EU, basiert die Gesetzgebung der EU auf hohen Standards zum Schutz von Mensch und Umwelt. Die EU Verordnung 1829/2003 bestimmt, dass für Nahrungsmittel, die aus GV-Organismen gewonnen werden, „in geeigneter und ausreichender Weise nachgewiesen“ sein muss, dass diese „keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt haben“. Dabei solle „eine den höchstmöglichen Anforderungen standhaltende wissenschaftliche Bewertung“ erfolgen. Auf ähnliche Art und Weise setzt die EU-Richtlinie 2001/18 hohe Standards für die Abschätzung von Umweltrisiken. Zudem fordert sie den Aufbau einer unabhängigen Risikoprüfung: „Die Mitgliedstaaten und die Kommission sollten sicherstellen, dass eine systematische und unabhängige Forschung in Bezug auf die potentiellen Risiken durchgeführt wird, die mit der absichtlichen Freisetzung oder dem Inverkehrbringen von GVO verbunden sind.“

Derzeit sind, auf Grundlage der Bewertungen durch die EFSA mehr als 70 Zulassungen für GV-Pflanzen gültig. Die meisten dieser Pflanzen sind inzwischen mehrfach gentechnisch verändert. Ein Beispiel ist der Mais „SmartStax“, der von den Firmen Monsanto (Bayer) und DowDuPont (Corteva) entwickelt und vermarktet wird: Er produziert sechs Bt-Insektengifte und ist gegen mehrere Herbizide resistent. Die Lücken im derzeitigen Prüfsystem der EFSA werden hier besonders anschaulich: Für die Zulassung des Gentechnik-Mais wurde kein einziger Fütterungsversuch zur Überprüfung gesundheitlicher Risiken verlangt.

Die Liste der Lücken in der Risikoprüfung der EFSA ist lang. Hier sollen nur drei Punkte genannt werden:
(i) Grundsätzlich verlangt die EFSA keine empirischen Daten zur Überprüfung der kombinierten Wirkung von Giftstoffen, wie sie in Nahrungsmitteln vorhanden sein können, die von Pflanzen wie SmartStax stammen.
(ii) Mögliche Auswirkungen auf das Immunsystem werden nicht im Detail geprüft, die EFSA behauptet, dass zunächst geeignete Methoden entwickelt werden müssten.
(iii) Die Daten aus Feldversuchen, die für die Zulassungsprozesse durchgeführt werden, entsprechen in vielen Fällen nicht den Bedingungen, unter denen diese Pflanzen in Ländern wir den den USA, Brasilien oder Argentinien tatsächlich angebaut werden. Im Ergebnis entsprechen die gegenwärtigen Standards der Zulassungsprüfung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Dieses Problem wird oft durch populistische Argumente oder sogar Angriffe gegen demokratische Institutionen wie den EU-Gerichtshof verdeckt. Eine andere Strategie besteht darin, nur die angeblichen Vorteil der Gentechnik zu betonen, ohne ihre Risiken zu erwähnen. All diese Elemente können in einem Gast-Editorial von Euractiv vom 10. Oktober 2019 gefunden werden, das von EuropaBio, dem Dachverband der Gentechnikindustrie, verfasst wurde. Allerdings bestehen am Nutzen der Gentechnik-Pflanzen erhebliche Zweifel: Zum Beispiel zeigen die Daten zum sogenannten Golden Rice, die den Behörden in Neuseeland vorgelegt wurden, dass die Körner einen wesentlichen geringeren Gehalt an Beta-Carotinen aufweisen als bisher behauptet wurde. Dazu kommen weitere Verluste durch Lagerung und Kochen, so dass der mögliche Nutzen doch sehr gering sein dürfte. Ein anderes enttäuschendes Beispiel ist trockentoleranter Mais, der in den USA angebaut wird und in die EU importiert werden darf. Jüngst haben die Behörden in Südafrika einen Antrag auf Anbau abgelehnt, weil der Mais gegenüber konventionell gezüchteten Sorten keinen Vorteil aufweist. Schließlich hat sich auch die Erwartung, dass durch den Anbau von herbizidtoleranten GV-Pflanzen Herbizide eingespart werden könnten, ins Gegenteil verkehrt.

Aber selbst wenn die behaupteten Vorteil zutreffen würden, müsste die Risikobewertung der Pflanzen in Übereinstimmung mit den Gesetzen erfolgen. Deswegen stellt das EU-Parlament die richtigen Fragen und setzt wichtige Zeichen. Wir hoffen, dass die neue EU-Kommission mit diesen Fragen sorgfältiger umgehen wird als ihre Vorgängerinnen. Sie sollte eine wirklich unabhängige Risikoforschung auf den Weg bringen und sicher stellen, dass die Arbeit der EFSA die gesetzlichen Anforderungen tatsächlich erfüllt.

Die EU-Kommission hat eine weitere große Aufgabe vor sich, den Umgang mit den neuen Verfahren der Gentechnik, das sogenannte Genome Editing: Nur wenn die die EU die gegenwärtige Gentechnikgesetzgebung beibehält, wie diese auch 2018 vom EU-Gerichtshof bestätigt wurde, besteht die Möglichkeit, dass ausreichende Kontrollen und Transparenz durchgesetzt werden können. Andernfalls haben wir in Zukunft keine Wahl mehr, sondern müssen einfach glauben, was EuropaBio über die Produkte der Industrie berichtet: Großer Nutzen, aber keine Risiken.

 

Die englische Fassung dieses Artikels wurde am 18. Oktober 2019 auf dem Webportal EURACTIV veröffentlicht:
https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/opinion/the-eu-dilemma...

 

Weitere Informationen:

Aktueller Kommentar von Testbiotech zu einem von der EFSA geprüften Gentechnik-Mais: www.testbiotech.org/node/2411

Die Entscheidung der südafrikanischen Regierung zum trockentoleranten Gentechnik-Mais von Bayer:
www.acbio.org.za/sites/default/files/documents/Minister's_final_decision_on_Monsanto_appeal.pdf

Überblick über Herausforderungen im Hinblick auf die Regulierung der neuen Gentechnik: www.testbiotech.org/node/2346