2. April 2020
7.4.2020 / Neue Gentechnikverfahren, auch als Genome Editing bezeichnet, erwecken in der Medizin, aber auch im Bereich der Landwirtschaft, zahlreiche Hoffnungen. Angesichts der enormen Herausforderungen, die zum Beispiel durch den Klimawandel entstehen, knüpfen sich große Erwartungen an Pflanzeneigenschaften, die laut Aussagen der Industrie und verschiedener WissenschaftlerInnen mittels der neuen Gentechnikverfahren (wie der Genschere CRISPR/Cas) erzeugt werden können.
Mit dem Slogan ‚Genome Editing gegen den Klimawandel‘ setzen sich Industrie, ForscherInnen, und selbst große Wissenschaftsorganisationen seit Jahren öffentlich massiv für den Einsatz der neuen Gentechnikverfahren ein. Dabei plädieren sie auch für weitreichende rechtliche Ausnahmeregelungen und eine Deregulierung von Pflanzen, die mit Genscheren und anderen neuen gentechnischen Verfahren verändert wurden. Entsprechende Pflanzen und Tiere müssten dann nicht mehr verbindlich in Zulassungsverfahren auf ihre Risiken geprüft werden.
So kommentiert zum Beispiel Ulrich Schurr, Direktor am Institut für Pflanzenwissenschaften des Forschungszentrums Jülich: „Die wachsende Weltbevölkerung und der Klimawandel werden die Anforderungen an eine nachhaltige Landwirtschaft und damit auch an die Züchtung von Pflanzen mit hohem Ertrag, besserer Qualität und Toleranz gegen Krankheiten, Trockenheit und Hitze weiter erhöhen. Trotzdem schränken wir gerade jetzt in Europa die Nutzung neuer Technologien ein, welche die Züchtung solcher Nutzpflanzen beschleunigen könnte.“
Vor diesem Hintergrund fordern auch andere prominente Wissenschaftler wie Prof. Detlef Weigel, Direktor am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, der als vehementer Befürworter der neuen Gentechnik bekannt ist, „das Gentechnik-Gesetz auf Genom-editierte Pflanzen nicht anzuwenden“.
Würde die EU solchen Forderungen folgen, könnte das europäische Gentechnikrecht weitgehend dem System in den USA angeglichen werden. Dieses sieht für genomeditierte Pflanzen weder eine verpflichtende Risikoprüfung, noch Rückverfolgbarkeit und Wahlfreiheit vor.
Im Folgenden soll gezeigt werden, wie einzelne WissenschaftlerInnen, wissenschaftliche Verbände, PolitikerInnen und Medien einen Bericht des Weltklimarates missbräuchlich verzerren und falsch wiedergeben. Die wissenschaftliche Autorität des internationalen Gremiums soll offensichtlich benutzt werden, um Druck auf die EU-Gentechnikgesetzgebung auszuüben.
Der Bericht des Weltklimarates zur Landnutzung
Als der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) im August 2019 seinen ausführlichen Bericht zum Thema Klima, Landwirtschaft und Ernährung veröffentlichte („Climate Change and Land – An IPCC Special Report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems“), dauerte es nicht lange, bis ProtagonistInnen aus Forschung und Politik begannen, den 800-seitigen Bericht als Beleg dafür zu zitieren, dass der Einsatz von gentechnisch veränderten und genomeditierten Pflanzen ein wichtiges Mittel gegen den Klimawandel sei.
So weise laut einer gemeinsamen Pressemitteilung des Gentechnik-Lobbyvereins ‚Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik‘ und des einflussreichen Verbandes der Biologen (VBIO) „der Weltklimarat (IPCC) in seinem jüngsten Bericht auf die Bedeutung von Genome Editing in Zeiten des Klimawandels hin“.
Auch VertreterInnen der Politik meldeten sich zu Wort. Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), sah im IPCC-Bericht beispielsweise den Beleg, dass es ohne genmanipulierte Pflanzen künftig nicht gehe. Die Politik müsse „ideologiefreien Zugang zu neuen Züchtungsmethoden“ öffnen, erklärte Meister laut einem Bericht der Tageszeitung ‚Die Welt‘.
Ins gleiche Horn stieß Thomas Rachel, ebenfalls Staatssekretär im BMBF, in einer Rede bei der Dialogkonferenz „Genom-Editierung“ am 19. November 2019:
“Ein großes Innovationspotenzial attestieren Wissenschaftler der Genom-Editierung bei der Züchtung von Nutzpflanzen. Hier besteht die Hoffnung, dass die Technik einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung einer auskömmlichen Ernährung der Menschen leisten wird. Dies ist in Anbetracht des Klimawandels und einer wachsenden Weltbevölkerung wichtiger denn je. Auch der aktuelle Sonderbericht des Weltklimarates IPCC über Klimawandel und Landsysteme vom 8. August 2019 hat ausdrücklich darauf hingewiesen.“
Gleichzeitig meldeten sich auch in den sozialen Netzwerken Wissenschaftler wie Prof. Detlef Weigel zu Wort, um auf die angebliche Forderung des Weltklimarates nach dem Einsatz von alter und neuer Gentechnik hinzuweisen. Laut Aussagen von Prof. Weigel auf dem Kurznachrichtendienst Twitter „empfiehlt“ der Weltklimarat den Einsatz von Gentechnik (u.a. Tweets vom 28.10.2019, 27.2.2020) bzw. von Genome Editing (1.2.2020). An anderer Stelle behauptet Weigel, dass sich der IPCC ausdrücklich für CRISPR ausspräche, um den Folgen der Klimakrise entgegenzutreten (7.1.2020).
Nicht nur in der Forschung, auch in traditionell gentechnikfreundlichen Medien finden sich Echos dieser Lesart des IPCC-Berichtes. So schreibt Norbert Lossau, Chefkorrespondent Wissenschaft der Zeitschrift ‚Die Welt‘:
„In seinem jüngsten Sonderbericht hat der Weltklimarat (IPCC) die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Landwirtschaft beschrieben. In vielen Regionen wird es im Mittel nicht nur höhere Temperaturen, sondern auch mehr Trockenheit und Dürre geben. Das gefährdet letztendlich die Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln. Um dem zu begegnen, schlagen die IPCC-Experten unter anderem vor, gentechnisch veränderte Pflanzen zu kreieren, die Hitzestress und Wassermangel besser ertragen können, als die heute verwendeten Nahrungsmittelpflanzen. Gezielte Eingriffe in das Erbgut, mit denen dies erreicht werden könnte, sind seit einigen Jahren mit der sogenannten Genschere (CRISPR/Cas) möglich.“
Ähnliche Aussagen finden sich schließlich auch in Texten des industrienahen Gentechnik-Portals ‚transgen‘.
Laut Angaben von ‚transgen‘ empfiehlt der Weltklimarat unter anderem die Züchtung besser angepasster Nutzpflanzen – „auch mit Hilfe von Genome Editing“, bzw. fordere, „Genome Editing und andere molekularbiologische Züchtungsverfahren stärker zu forcieren“.
Die klar formulierte Botschaft von ‚transgen‘ ist dabei, diese Verfahren nicht „durch wissenschaftlich nicht begründete Überregulierung zu behindern, wie es derzeit in Deutschland und der EU geschieht.“
Was steht wirklich im Bericht des Weltklimarates?
Doch lassen sich die von den genannten Medien, Organisationen und ForscherInnen getätigten Aussagen wirklich mit dem IPCC-Bericht belegen? Kann man auf Basis des Berichtes tatsächlich behaupten: Der Weltklimarat fordert den Einsatz von Gentechnik bzw. Genome Editing?
Der Sonderbericht des IPCC enthält zunächst grundlegend die Botschaft, dass gewaltige Anstrengungen für einen Richtungswechsel in der Landnutzung unternommen werden müssen. In diesem Zusammenhang wird eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen (siehe z.B. Technical Summary, S. 71), unter anderem:
• Erhaltung von Biodiversität;
• Diversifizierung landwirtschaftlicher Anbausysteme;
• reduzierte Umwandlung von Grasland zu Ackerland;
• Agroforstwirtschaft;
• Bodenschutz;
• Eindämmung von Entwaldung;
• Wiederaufforstung und Restaurierung von Wäldern;
• Restaurierung und Schutz von Mooren und Feuchtgebieten;
• Ernährungsweise, die mit geringen Treibhausgasemissionen einhergeht.
Der Bericht ist in mehrere Unterteile gegliedert. Neben einer technischen Zusammenfassung und einer Zusammenfassung für EntscheidungsträgerInnen enthält er verschiedene Einzelkapitel, u.a. zu Wüstenbildung, Böden oder Risikobewertung.
Hier fällt zunächst auf, dass in beiden genannten Zusammenfassungen kein Wort über die Potenziale der Gentechnik verloren wird. Hier wird lediglich sehr allgemein herausgestellt, dass sowohl bei Nutzpflanzen als auch bei Nutztieren neue Sorten bzw. Rassen mit genetischen Verbesserungen im Bereich z.B. der Trocken- oder Hitzebeständigkeit („use of varieties and genetic improvements for heat and drought tolerance“) angestrebt werden sollten. „Genetische“ Verbesserungen sind allerdings das Ziel jeglicher Pflanzenzüchtung, das IPCC legt sich hier nicht auf eine bestimmte Technologie fest. Gerade WissenschaftlerInnen sollten zwischen „genetisch“ und „gentechnisch“ differenzieren können.
Nachdem der erste Einzelbericht (Framing and Context) ebenfalls nicht auf gentechnische Verfahren zu sprechen kommt, werden im zweiten Einzelbericht (Land – climate interactions) immerhin Aspekte der Tiergenetik gestreift. Neben den Möglichkeiten einer veränderten Fütterung, mit der die Emissionen von Treibhausgasen aus der Tierhaltung eingeschränkt werden sollen, wird dabei auch allgemein auf die Bedeutung der Tierzüchtung verwiesen („better quality of livestock through breeding“). Vom Einsatz alter oder neuer gentechnischer Verfahren ist dabei keine Rede.
Der dritte Einzelbericht (Desertification) befasst sich ausführlich mit dem Thema von Pflanzenbau und -züchtung im Zeichen klimatischer Veränderungen. Er weist dabei auf die Notwendigkeit hin, die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel zu machen. Neben der Pflanzengesundheit, der Stabilität der Böden und einer optimierten Bewässerung kommt dabei laut Bericht auch verbesserten Pflanzensorten Bedeutung zu („improvements in crop varieties“), vor allem trockenheitsresistenten Sorten. Erneut findet sich dabei kein Bezug auf alte oder neue Gentechnik.
Das gleiche Bild bietet sich im vierten Einzelbericht (Land degradation). Hier werden Wege dargestellt, wie die Pflanzenzüchtung auf den Klimawandel reagieren kann. Zum einen wird dabei auf Kreuzungen von modernen Kultursorten mit verwandten Pflanzenarten verwiesen, zum anderen auf die Möglichkeit einer Neudomestizierung von Pflanzenarten, die bislang noch nicht vom Menschen in Kultur genommen wurden. Von den Potenzialen gentechnischer Verfahren ist dabei nicht die Rede.
Erst im fünften Einzelbericht (Food Security) tauchen zum ersten (und gleichzeitig einzigen) Mal direkte Referenzen zu alter und neuer Gentechnik bzw. im weiteren Sinn zur Biotechnologie auf. Angesichts des derzeitigen und des prognostizierten Klimawandels, so der Bericht, werde die Anpassung unter anderem technologische Maßnahmen, z. B. die Wiederherstellung und Verbesserung verwaister Nutzpflanzen sowie neue Sorten aus Züchtung oder Biotechnologie erfordern („new cultivars from breeding or biotechnology“). Auch dieser Passus ist aber letztlich sehr allgemein, da biotechnologische Verfahren weit mehr umfassen als Gentechnik (u.a. zählt hierzu auch der Einsatz von Zell- und Gewebekultur).
Die einzige explizite Nennung von Gentechnik erfolgt dann im Zusammenhang einer Aufzählung von Möglichkeiten, die dazu dienen sollen, die Emissionen aus der Nutztierhaltung zu reduzieren. Neben einer Reihe von Handlungsoptionen wird hier die hypothetische Verfütterung gentechnisch veränderter Gräser mit verändertem Zuckergehalt („genetically modified grasses with higher sugar content“) genannt. Der Hinweis an dieser Stelle mutet allerdings merkwürdig an, da sich weltweit keine gentechnisch veränderte Pflanze mit einer solchen Eigenschaft auf dem Markt befindet.
Zu guter Letzt wird im fünften Einzelbericht auch noch die Existenz der Genschere CRISPR/Cas erwähnt, allerdings lediglich in Form einer reinen Technikbeschreibung (S. 513).
Allgemein hält das IPCC fest, dass Fortschritte in der Pflanzenzüchtung bei einer Vielzahl von Kulturen entscheidend für die Verbesserung der Ernährungssicherheit unter den sich ändernden klimatischen Bedingungen sind. Hierzu, heißt es im Bericht, sei eine Verbesserung der Genetik notwendig, um Pflanzen und Tiere zu züchten, die sowohl die Treibhausgasemissionen reduzieren, die Dürre- und Hitzetoleranz erhöhen, als auch die Ernährung und Ernährungssicherheit verbessern können. Dabei weist der Bericht insbesondere auf bereits existierende Sorten und Forschungsansätze hin. So seien viele dieser gewünschten Eigenschaften bereits in traditionellen Pflanzensorten und Tierrassen vorhanden.
Erneut kein Hinweis auf gentechnische Verfahren findet sich im siebten und letzten Kapitel des IPCC-Berichtes (Risk management and decision-making in relation to sustainable development).
Heiße Luft oder gezielte Einflussnahme?
Im Bericht des IPCC werden alte bzw. neue Gentechnik an sehr wenigen Stellen thematisiert. Einzig greifbares Beispiel, bei dem explizit gentechnisch veränderte Organismen als Option im Kampf gegen den Klimawandel genannt werden, ist bei einer hypothetischen Verfütterung von Gentechnik-Gras mit veränderter Zuckerzusammensetzung. Abgesehen davon enthält der gesamte Bericht, inklusive der technischen Zusammenfassung und der Zusammenfassung für politische EntscheidungsträgerInnen, keinen Hinweis darauf, dass der IPCC den Einsatz von gentechnischen Verfahren fordert.
Auch die neue Gentechnik (hier die Genschere CRISPR/Cas) wird im IPCC-Bericht lediglich einmal explizit genannt und in wenigen Zeilen sachlich zur Kenntnis genommen. Der Bericht enthält dabei nicht den geringsten Hinweis darauf, dass der Weltklimarat den Einsatz von CRISPR/Cas fordert. Er nimmt zwar an zahlreichen Stellen darauf Bezug, dass züchterische Verbesserungen in wichtigen Bereichen wie Dürretoleranz ein Mittel zur Anpassung an den Klimawandel darstellen, zeigt dabei aber wenig Präferenz für technik- und technologiefixierte Modelle.
Eine undifferenzierte Auslegung, die den gesamten Bericht auf die Formel ‚IPCC fordert Gentechnik!‘ reduziert, wie sie von einzelnen WissenschaftlerInnen, aber auch von namhaften Verbänden wie dem Biologenverband VBIO vorgenommen wurde und wird, ist dagegen irreführend und angesichts der gegebenen Textgrundlage nicht haltbar. Der Bericht des Weltklimarates zu Landnutzung taugt nicht für die Begründung der Forderung nach einem raschen Einsatz von Gentechnik und Genome Editing oder der Deregulierung der neuen Gentechnik.
Der Bericht des IPCC lässt die Frage nach dem Einsatz von neuen Gentechnikverfahren in der Landwirtschaft und ihrem möglichen Nutzen vielmehr völlig offen. Tatsächlich gibt es bisher auch keine Beispiele für Anwendungen, die hier einen einzigartigen Nutzen erwarten lassen. Sollten aber in Zukunft tatsächlich Pflanzen und/oder Tiere mit überraschenden neuen Eigenschaften generiert werden, müssten diese auch eingehend auf ihre Risiken geprüft werden.