Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA räumt erstmals ein, dass sie Interessenskonflikten nicht ausreichend vorgebeugt hat. Sie „bedauert“, entsprechenden Informationen nicht rechtzeitig nachgegangen zu sein. Als Konsequenz habe sie ihre internen Richtlinien überarbeitet.
Im konkreten Fall geht es um Suzy Renckens. Sie leitete von 2003 bis 2008 die Gentechnikabteilung der EFSA. Diese ist für die Risikobewertung gentechnisch veränderter Pflanzen zuständig. Im Jahr 2008 wechselte Renckens direkt als Lobbyistin zum Konzern Syngenta, der gentechnisch veränderte Pflanzen herstellt und vermarktet. Testbiotech machte den Fall 2009 öffentlich, aber die Lebensmittelbehörde und die Europäische Kommission weigerten sich, Maßnahmen zu ergreifen. Daraufhin schaltete Testbiotech – mit Unterstützung der Brüsseler Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) – den Europäischen Ombudsmann ein. In einem Brief, den die EFSA nun an den Bürgerbeauftragten der EU schrieb, gibt sie erstmals ihre Versäumnisse zu.
„Die EFSA hätte ihre Probleme schon viel früher eingestehen sollen. Das lange Taktieren hat der Glaubwürdigkeit der EFSA geschadet. Zudem ist nach wie vor unklar, ob die Behörde in Zukunft einen derartigen Wechsel zur Industrie tatsächlich untersagen würde“, sagt Christoph Then von Testbiotech. „Wir sehen dringenden Handlungsbedarf bei weiteren Interessenskonflikten in der Behörde.“ In diesem Zusammenhang haben Testbiotech und CEO den EU-Ombudsmann erneut um Unterstützung gebeten. Es geht um Harry Kuiper, der fast zehn Jahre lang das Expertengremium für Gentechnik bei der EFSA geleitet hat. Er kooperierte eng mit dem International Life Science Institute (ILSI), das von Agrogentechnikkonzernen und der Lebensmittelindustrie finanziert wird.
Corporate Europe Observatory verlangt, dass jetzt auch die EU-Kommission aktiv wird, um die Unabhängigkeit der EFSA stärker zu schützen. Besonders beunruhigt ist CEO von Plänen der EU-Kommission, die frühere Mitarbeiterin von Monsanto und derzeitige EU-Top-Lobbyistin der Lebensmittelindustrie, Mella Frewen, als Verwaltungsratsmitglied der EFSA zu bestimmen. „Die EU-Kommission erweist der EFSA einen schlechten Dienst, wenn sie ausgerechnet Mella Frewen für eine Position auswählt, die über die Unabhängigkeit der Behörde wachen soll. Wenn die EFSA in Zukunft ihre Glaubwürdigkeit wiedergewinnen will, muss die Industrie sowohl von den Expertengremien als auch vom Verwaltungsrat ausgeschlossen werden“, sagt Nina Holland von CEO.
Auch das Europäische Parlament zeigt sich zunehmend besorgt, wenn es um die Unabhängigkeit der EFSA geht. Bei einer Abstimmung im Haushaltsausschuss im März 2012 sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen eine Genehmigung des Haushalts der Behörde aus, solange keine weiteren Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenskonflikten ergriffen worden sind.