Antwort: Dr. Kirsten Tackmann (MdB, Die Linke)

Dr. Kirsten Tackmann, Obfrau im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, positioniert sich wie folgt:

 

„Sehr geehrter Herr Dr. Then,


vielen Dank für Ihr Schreiben vom 4. April 2017.

DIE LINKE unterstützt alle Ihre Forderungen.

Heute kann man Gene gezielter austauschen oder verändern als bisher. Vielleicht wird man so in wenigen Jahren Aids, Krebs oder Erbkrankheiten heilen. Aber vielleicht wird diese Technik auch genutzt, um Babys zu designen. Sehr wahrscheinlich wird es möglich, Fleisch im Labor und ohne Tierhaltung zu produzieren.

Auch wenn wir es natürlich begrüßen würden, wenn so z. B. bisher unheilbare Krankheiten behandelt werden können, bleiben dennoch schwerwiegende Risiken, deren direkte und indirekte Folgen verheerend wären. Erst Recht, wenn es um gentechnische Veränderungen an vermehrungsfähigen Organismen geht, die außerhalb von Laboren genutzt werden sollen und die deshalb im Fall ungewollter und unerwarteter Effekte nicht zurückgeholt werden können und die neuen Eigenschaften zudem an wildlebende Verwandte übertragen könnten. Diese Gefahren dürfen im Sinne des Vorsorgeprinzips niemals ignoriert werden. Aus Sicht der LINKEN erhöht sie sich darüber hinaus auch gesellschaftspolitisch, da es dabei auch um sehr viel Geld, Macht und Einfluss geht, insbesondere wenn es um die Lebensmittelproduktion geht.

In der Landwirtschaft ist bereits jetzt deutlich, welche Folgen die Gentechnik in der Realität jenseits der Heilsversprechen der Saatgutkonzerne hat: der Pestizideinsatzes wird oft nicht reduziert, stattdessen steigt die Belastung der Umwelt. Der mit dem GV-Anbau einhergehende Trend zu Monokulturen herbizidresistenter Pflanzen führt zu einem erhöhten Krankheits- und Schädlingsdruck sowie steigendem Resistenzrisiko, was wiederum zu noch mehr Pestizideinsatz führt. Geschädigt werden Ackerbegleitflora, Säugetiere, einige Wirbellose, im Wasser lebende Arten und Bodenmikroorganismen und indirekt auch die Tiere, die weiter oben in der Nahrungskette stehen und denen die Nahrungsgrundlage verloren geht. Eine ausgewogene Forschung hätte den Zweck, genau diese Risiken einschließlich kumulativen sowie langfristigen bzw. subklinischen Effekten auf Individuen, Populationen und auf die Umwelt zu identifizieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Aber Risikoforschung findet kaum statt und ist bisher kein Kriterium für die Zulassung von neuen GV-Pflanzen. Deshalb unterstützen wir die Stärkung einer öffentlichen Risikoforschung, wenn ungewollte Verbreitungsgefahren ausgeschlossen werden können. Außerdem gehen beispielsweise den hohen Importen von GV-Soja für die europäische Fleischindustrie massive Änderungen der Agrarstruktur in Ländern wie Brasilien, Argentinien oder Paraguay voraus – oft mit verheerenden Auswirkungen auf die dort lebende ländliche Bevölkerung, die vertrieben wird und ohne Land auf Sozialtransfers zur Sicherung ihrer Versorgung angewiesen ist.

DIE LINKE lehnt Agro-Gentechnik seit langem ab und wir wollen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland verbieten.

Auch die gesetzlich geregelte Koexistenz zwischen GV-Anbau und konventionellem oder gar ökologischem Landbau ist gefährdet, wenn sich die Bundesregierung für kein bundeseinheitliches opt-out-Verfahren entscheidet, sondern hohe Hürden wie die Abstimmung unter sechs Ministerien oder schriftliche Begründungen der Mehrheit der Bundesländer als Voraussetzung für ein nationales Anbauverbot für in der EU-zugelassene GV-Pflanzen bestimmt. Damit wäre ein Flickenteppich vorprogrammiert und weil sich weder Wind noch Bienen an Ländergrenzen orientieren, wären die Erfolge der gentechnikfreien Regionen gefährdet und einzelne Bundesländer den Klagen der Saatgutkonzerne ausgeliefert. Deshalb hat DIE LINKE von Anfang an rechtssichere und bundesweit einheitliche Regelungen zum nationalen Anbauverbot gefordert. Ungeachtet dessen halten wir aber an unserer weiter gehenden Forderung fest, das Zulassungsverfahren so zu qualifizieren, dass unabhängig und transparent geprüft wird und gefährliche Pflanzen gar nicht erst zugelassen werden. Dazu müssen z. B. auch langfristige Effekte und sozio-ökonomische sowie ethische Risiken berücksichtigt werden. Ihren Anbau im Mitgliedsstaat nach Zulassung verbieten zu können, halten wir nur für eine Notlösung, die aber wenigstens konsequent umgesetzt werden muss. Eine unterschiedliche Bewertung der Zulassung zum Anbau oder zum Handel ist aus unserer Sicht unsinnig, da Anbaurisiken überall in der Welt existieren.

Dass die so genannte Koexistenz ein Märchen ist, zeigt aktuell erneut der Nachweis gentechnisch veränderter Petunien in Finnland, die mutmaßlich ihren Ursprung auch in Deutschland haben. Vor einigen Jahren wurde der gentechnisch veränderte Reis LL601 sogar weltweit nachgewiesen, obwohl er nie zugelassen war und offiziell nur in einem kleinen Feldversuch in den USA angebaut worden war. Eine vollständige Trennung zwischen gentechnisch veränderten und konventionellen gezüchteten Pflanzen müsste die gesamte Produktionskette von der Saatgutgewinnung über den Anbau, die Technik für Ernte, Transport, Verarbeitung und Vermarktung erfolgen, was nahezu unmöglich ist, hohe volkswirtschaftliche Kosten und betriebswirtschaftliche Risiken verursachen würde – nicht nur für die Anwender_innen, sondern auch ihre Nachbar_innen.

Bis zu einem vollständigen Verbot setzt sich DIE LINKE weiterhin für umfassende und verbraucherfreundliche Kennzeichnungspflichten ein. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass Produkte von Tieren, die mit gv-Futtermitteln gefüttert wurden, gekennzeichnet werden müssen. Die „Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung“ unterstützen wir. Sie ist ein erreichbarer Kompromiss in die richtige Richtung und ermöglicht mehr Transparenz. Damit verbinden wir die Hoffnung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit erhalten, risikoorientierte Entscheidungen zu treffen und dadurch die GV-Anbauflächen (im globalen Süden) zu reduzieren. Die Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung sollte aber weiterentwickelt, beispielsweise die Übergangsfristen der Fütterungszeit mit GV-Futtermitteln verringert werden. Die Nulltoleranz beim Saatgut ist für uns unter keinen Umständen verhandelbar!

Des Weiteren wendet sich DIE LINKE gegen die Bestrebungen der Industrie die so genannten neuen Züchtungstechniken als Mutationen einzustufen und fordert stattdessen eine klare Einstufung der neuen Züchtungsmethoden unter die bestehende Gentechnikregulierung. Zu den so genannten „neuen Züchtungstechniken“ werden unterschiedliche Verfahren gezählt, dazu auch Genome Editing im Allgemeinen oder CRISP/CAS als eine konkrete Methode, die in der synthetischen Biologie immer öfter zum Einsatz kommen. Alle diese Verfahren versprechen einen präziseren Eingriff in die DNA als mit den bisherig üblichen gentechnischen Methoden. Das mehr oder weniger willkürliche An- und Ausschalten von Genen oder die Stilllegung von DNA-Abschnitten bergen jedoch ähnliche Risiken wie bisherige, weniger zielgerichtete Methoden. Das gilt erst Recht, wenn artfremde oder synthetische DNA-Abschnitten in das Genom integriert werden. Zudem bleibt die Unsicherheit, welche Veränderungen diese Manipulationen im Genom auf der Proteinebene auslösen und welche Effekte die Veränderungen bei weiterer Vermehrung oder Auskreuzung in Wildpopulationen haben. In der Anwendung der Technologie auf höhere Pflanzen sind Umweltauswirkungen und Stoffwechselinteraktionen bisher völlig unbekannt und radikal neue Eigenschaften können deshalb nicht ausgeschlossen werden. Da es aber auch hier um vermehrungsfähige Pflanzen als Produkt geht, die im Freiland genutzt werden sollen, bleibt im Havariefall die fehlende Rückholoption nach einer Verselbständigung oder einer Auskreuzung in wildlebende Pflanzen ein ökologisches Risiko, das nicht verantwortbar ist. Mit zunehmender Eingriffstiefe ist auch das Familiaritätsprinzip nicht mehr ohne weiteres anzuwenden, was die Risikobewertung äußerst erschwert. Außerdem hebeln die neuen Techniken die Prinzipien der Vorsorge und die Rückverfolgbarkeit aus, wenn die Veränderung der Produkte anschließend nicht mehr nachweisbar ist. Angesichts der bisherigen Erfahrung, dass die Koexistenz zwischen konventionell gezüchteten und agrogentechnisch veränderten Pflanzen lang- und mittelfristig nicht funktioniert und kurzfristig hohe betriebs- und volkswirtschaftliche Kosten verursacht, bleibt aus Sicht der LINKEN nur die Ablehnung für landwirtschaftliche Nutzpflanzen. Soweit Forschung im öffentlichen Interesse notwendig ist, muss sie sich zu allererst mit den zu bewertenden Risiken beschäftigen.

Wie Sie sehen, spricht sich DIE LINKE klar gegen eine Unterwerfung des Lebens unter das technisch Mögliche aus, solange die Folgen unbekannt sind und im Krisenfall nicht die Konzerne, sondern die gesamte Gesellschaft dafür die Kosten tragen muss.

Eine Patentierung von Leben lehnt DIE LINKE grundsätzlich ab.

Für Ihre engagierte Arbeit danken wir Ihnen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

Dr. Kirsten Tackmann (MdB)"

 

Testbiotech fragt nach:
Wir freuen uns über Ihre klare Positionierung! Wir wollen Sie noch einmal zu einem Vorschlag befragen, den wir schon vor ein paar Jahren in die Diskussion eingebracht haben: Testbiotech schlägt vor, einen Fonds einzurichten, in den die Industrie einzahlen muss. Mit diesen Geldern könnte systematisch eine von der Biotechnologieindustrie unabhängige Forschung gefördert werden, die konsequent auf den Schutz von Umwelt und VerbraucherInnen ausgerichtet ist. Die wissenschaftlichen Anforderungen der mit diesen Geldern finanzierten Forschung würden nach internationalen Standards ausgerichtet. Über die Verteilung der Gelder und die Ausrichtung der Forschungsprojekte sollte unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisation entschieden werden, die u.a. aus dem Bereich von Umwelt- und Verbraucherschutz kommen. Dieses Modell lässt sich auch auf andere Bereiche, wie bspw. die Risikoforschung im Bereich von Pestiziden, Chemikalien und Nanotechnologie, ausweiten. Auf diese Weise könnte die Vielfalt in der Forschungslandschaft gefördert und die Grundlage für politische Entscheidungen erweitert werden. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen?

 

Publication year: 
2017