Lobbyismus im Kleid der Wissenschaft: @forscherrobert

2. Dezember 2022 / Eine wissenschaftlich fundierte Aufklärung über Risiken der Gentechnik ist wichtig, um die richtigen Entscheidungen über deren Einsatz und gesetzliche Regulierung zu treffen. Unter anderem auf Twitter wird aber oft versucht, eine informierte Diskussion zu verhindern. Die dabei eingesetzten Mittel sind bekannt: Absichtliches Missverstehen und Verdrehen von Aussagen, oft verbunden mit abwertenden Bemerkungen. Dabei wirken manche dieser Beiträge auf den ersten Blick sachlich, werden diesem Anspruch aber bei genauerem Hinsehen nicht gerecht. Dies zeigt sich auch im vorliegenden Beispiel.

Am 14. November veröffentlicht @forscherrobert einen Twitter-Thread, in dem er sich mit einem Gutachten von Testbiotech befasst.

Es wird der Eindruck erweckt, man könne das Gutachten, das 84 Seiten umfasst (davon über 12 Seiten Quellenhinweise) grundsätzlich in Zweifel ziehen, indem man eine Tabelle herausgreift und diese – außerhalb ihres Kontextes – interpretiert. Die von @forscherrobert dazu ausgewählte Tabelle (1) findet sich auf Seite 45 des Berichts.

 

Diese Tabelle gibt eine Übersicht über ungewollte Effekte bei Pflanzen, die mit den beabsichtigten Merkmalen einhergehen, die durch Verfahren der Neuen Gentechnik erzielt wurden. Sie ist eine Zusammenfassung von Beispielen, von denen fast alle an anderer Stelle im Gutachten vorgestellt wurden. In der Tabelle wird auf die jeweiligen Kapitel verwiesen. Offensichtlich kann also der Inhalt dieser Tabelle nicht interpretiert werden, ohne die jeweiligen Informationen im Text des Gutachtens zu berücksichtigen. Eine Interpretation ohne Berücksichtigung der Inhalte, auf die in der Tabelle verwiesen wird, ist ein mutwilliges Missverständnis.

Tatsächlich steht der Inhalt der Tabelle mit dem Text des Gutachtens in engem Zusammenhang. Hier wird ausführlich erklärt, warum NGT-Verfahren im Vergleich zur konventionellen Züchtung neue und extremer ausgeprägte Eigenschaften bei Pflanzen erzielen können. Dies wird an einer Reihe von Beispielen ausführlich dargestellt.

Es zeigt sich, dass die mittels NGT erzielten Eigenschaften oft mit sogenannten ‚trade-offs‘ (Ausgleichsreaktionen, Nebenwirkungen) einhergehen, die häufig auftreten und oft stärker ausgeprägt sind, als dies aus der konventionellen Zucht bekannt ist. Der Grund: Die Neue Gentechnik macht das Erbgut, im Vergleich zur konventionellen Zucht, in stärkerem Ausmaß für Veränderungen verfügbar. Dadurch können genetische Veränderungen und Merkmale erzielt werden, die über das hinausgehen, was als Ergebnis der konventionellen Zucht (einschließlich der Zufallsmutagenese) zu erwarten ist. Deswegen müssen damit zusammenhängende Effekte im Rahmen der Risikobewertung (Zulassungsprüfung) berücksichtigt werden. Diese Zusammenhänge werden von @forscherrobert in seinem Tweet aber nicht erwähnt, wenn er sich einzelne Beispiele herausgreift:

@ForscherRobert: „Okay, gehen wir es beispielhaft nur mal an einer Anwendung durch: mlo in Weizen: Sie behaupten im Text, das gleichzeitige Abschalten von drei Homoeoallelen wäre mit klassischen Methoden nicht möglich. Das ist falsch. TILLING-Linien wurden schon 2017 publiziert [1], 1/

mit denselben pleitrophen Effekten, wie sie auch schon in anderen Pflanzen mit mlo-KO beschrieben wurden. Die von Ihnen angegebene Quelle Spanu, 2022 [2] beschreibt einen Weg, diese Effekte zu verhindern. Die TILLING-Linien sind wegen der vielen Hintergrundmutationen 2/

unbrauchbar. Hier liegt der Vorteil von Geneditierung, da es eben deutlich weniger genetische Veränderungen gibt, als bei klassischer Mutagenese.“


Diese Darstellung ist irreführend und wissenschaftlich unbegründet: Beim erwähnten Beispiel geht es um einen Weizen, der mit Neuer Gentechnik gegen Mehltau resistent gemacht werden soll (Wang et al., 2014). Ein ähnlicher Weizen wurde auch konventionell, auf der Grundlage von Zufallsmutationen, gezüchtet (Acevedo-Garcia et al., 2017). Allerdings scheint die Resistenz beim konventionell gezüchteten Weizen schwächer, ebenso wie die Nebenwirkungen. Der in der Tabelle genannte Autor (Spanu, 2022) fasst die bekannten Nebenwirkungen zusammen und zeigt einen Weg auf, wie es möglicherweise gelingen kann, diese abzumildern. Die Unterschiede zwischen konventioneller Zucht und Neuer Gentechnik werden in einer weiteren wissenschaftlichen Publikation ausführlich dargestellt (Kawall, 2021a). Diese Zusammenhänge und die entsprechenden Quellen werden im Gutachten u.a. auf Seite 40 dargestellt.

Die Art und Weise, wie @forscherrobert dieses Beispiel aus dem Kontext nimmt, erweckt den Eindruck, dass Testbiotech bestimmte Quellen nicht berücksichtigt hätte. Tatsächlich werden diese Quellen im Gutachten aber nicht nur genannt, sondern auch diskutiert. Aus diesen Quellen ergibt sich, dass der 2017 mit konventionellen Methoden gezüchtete Weizen nicht dem Weizen gleichgesetzt werden kann, der schon 2014 mit Neuer Gentechnik erzielt wurde. Die Aussage, dass diese Unterschiede daran liegen, dass die konventionelle Methode mehr Mutationen auslöste, ist irreführend. Vielmehr scheint die Neue Gentechnik beim Knock-out der spezifischen Gene effizienter zu sein als die zufälligen Verfahren und deswegen eine deutlichere Ausprägung der gewollten und ungewollten Effekte zu bedingen.


Das zweite Beispiel, das von @forscherrobert herausgegriffen wird, betrifft Leindotter (Camelina), der mit Neuer Gentechnik in der Zusammensetzung seiner Ölsäuren verändert wurde.

@ForscherRobert: „So ist der gesamte Text eine Ansammlung von Cherry-Picking. Beim Camelina-Beispiel zitieren Sie sich selbst mit einem Paper, 2/

das hypothetische Risiken ohne Belege beschreibt, die genauso auch auf Raps zutreffen müssten, der durch klassische Züchtung in den letzten Jahrzehnten enorme Veränderungen seiner Inhaltsstoffe erfahren hat. 4/“


Die entsprechenden Hintergründe und Quellen werden u.a. auf Seite 43 des Berichts dargestellt. Die in der Tabelle erwähnte Publikation (Kawall, 2021b) ist eine wissenschaftliche Veröffentlichung, in der Risikoszenarien entwickelt werden, die bei der Bewertung der Umweltrisiken beachtet werden müssten, sollte ein Antrag auf Freisetzung dieser Pflanzen gestellt werden. Angesichts fehlender Daten ist es eine wissenschaftlich übliche Methode, konkrete und plausible Hypothesen aufzustellen, die dann in Experimenten genauer untersucht werden. Dazu wurden die verfügbaren wissenschaftlichen Quellen ausgewertet.

Diese zitierte Publikation (Kawall, 2021b) ist eine der ersten, die  am Beispiel einer konkreten Pflanze aus NGT versucht, deren Risiken für die Umwelt zu analysieren. Sie fand große Aufmerksamkeit und wurde in ihrer Substanz nie in Frage gestellt. Ihre Zitierfähigkeit wird hier also ohne jeden Grund in Zweifel gezogen. Zudem: Die zitierte Quelle stammt aus einem wissenschaftlichen Projekt (Fachstelle Gentechnik und Umwelt), das von Testbiotech betreut wird. Die Publikation wurde jedoch nicht von Testbiotech verfasst.

Auch bei diesem Leindotter unterscheiden sich Genotyp und Phänotyp deutlich von bisherigen Züchtungen. Das Verfahren der Neuen Gentechnik, mit dem diese ‚extremen‘ Eigenschaften erreicht werden, ist also für die gewollten und ungewollten Merkmale der Pflanze entscheidend. Zwar ist es richtig, dass auch bei Raps mit dem Ziel gezüchtet wird, die Ölzusammensetzung zu verändern. Falsch ist es aber, den Eindruck zu erwecken, dass die Verfahren und Ergebnisse der Neuen Gentechnik denen der konventionellen Zucht per se gleichgesetzt werden können. Vielmehr zeigt das Beispiel des Leindotters, dass die erzielten (gewollten und ungewollten) Eigenschaften eben nicht aus den Verfahren der konventionellen Zucht zu erwarten wären und deswegen im Rahmen einer Zulassungsprüfung berücksichtigt werden müssten.

Die von @forscherrobert geäußerte Meinung bzw. Kritik ist also unbegründet und zudem in ihrer Tendenz diffamierend (cherry-picking; sich selbst zitieren). Dies zeigt, dass es dem Autor hier wohl nicht in erster Linie um Erkenntnisgewinn, wissenschaftliche Argumente und eine ergebnisoffene, thematische Auseinandersetzung geht, sondern vielmehr darum, fundierte Kritik als grundsätzlich unberechtigt darzustellen.

Das dritte Beispiel betrifft Tomaten aus Neuer Gentechnik:

@ForscherRobert: „Die Tomatenbeispiele gelten genauso für Rückkreuzungen mit Solanum-Wildarten (siehe Lenape-Kartoffel [3]).“

Die beiden Beispiele, die in der Tabelle angeführt werden, sind in ihren Merkmalen sehr unterschiedlich und werden u.a. auf Seite 38 und 44 dargestellt. In beiden Fällen handelt es sich um Tomaten, die, anders als die von @forscherrobert erwähnten Kartoffeln, nicht durch konventionelle Zucht erzielt werden konnten. Im Falle der Tomate mit erhöhtem Gehalt an GABA wird in der erwähnten Publikation (Nonaka et al., 2017) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das erwünschte Merkmal nicht mit Hilfe der konventionellen Zucht erreicht werden konnte. Im Falle der de novo domestizierten Tomate weist auch die EFSA (2022) darauf hin, dass sich deren Inhaltsstoffe deutlich von allen anderen bisher gezüchteten Tomaten unterscheiden.

Zwar ist es richtig, dass auch die Eigenschaften konventionell gezüchteter Sorten im Einzelfall auf ihre Merkmale geprüft werden sollten. Wie bereits dargestellt, ist es aber falsch, den Eindruck zu erwecken, dass die Verfahren und Ergebnisse der Neuen Gentechnik per se denen der konventionellen Zucht gleichgesetzt werden können. Die von @forscherrobert erwähnten Kartoffeln sind mit diesen aus Neuer Gentechnik gezüchteten Tomaten kaum vergleichbar und in ihren Ergebnissen nicht gleichzusetzen. Es handelt es sich eher um einen ‚Äpfel-mit Birnen-Vergleich‘.

Des Weiteren stellt @forscherrobert noch die Vermutung auf, dass jegliche Züchtung auf salzresistente Pflanzen mit ähnlichen Risiken einhergehe wie der im Gutachten erwähnte Reis aus Neuer Gentechnik. Da dieses Beispiel im Gutachten aber nicht genauer erörtert wird und auch @forscherrobert keine Quellen nennt, kann diese Diskussion hier nicht fundiert geführt werden. Es sei aber darauf verwiesen, dass es auch in diesem Falle plausibel erscheint, dass mit Hilfe der Neuen Gentechnik gewollte und ungewollte Eigenschaften erzielt werden können, die über die der konventionellen Zucht hinausgehen.

@forscherrobert zieht aus seinen oben dargestellten Mutmaßungen ein allgemeines Fazit über das Gutachten in seiner Gesamtheit und gleichzeitig über die Arbeit von Testbiotech. Er schreibt:

@ForscherRobert: „Kurz: Die Beispiele bestätigen den von Wissenschaftler*innen immer wieder vorgebrachten Punkt, dass ein mögliches Risiko von den konkreten Eigenschaften einer Pflanze ausgeht, aber nicht von der Zuchtmethode, mit der sie erzeugt wurde. 6/

Sie dagegen lassen entscheidende Informationen aus den zitierten Papern weg oder deuten sie voreingenommen um. Das ist kein wissenschaftliches Vorgehen. Im Gegenteil. 7/“

Es hat den Anschein, dass es im zitierten Tweet vor allem darum geht, exemplarisch zu zeigen, dass die Arbeit von Testbiotech nicht den allgemeinen wissenschaftlichen Standards entspreche. Zudem soll das Narrativ von Gentechnik-Befüwortern gestärkt werden, nach dem sich neue gentechnische Methoden nicht von konventionellen Züchtungsmethoden unterscheiden würden.

Der Hintergrund zu diesem Tweet scheint eine bestimmte Absicht zu sein, die vielleicht so zu erklären ist: Robert Hoffie, so der Name hinter @forscherrobert, gehört dem Vorstand einer Organisation an, die sich Öko-Progressives Netzwerk (ÖkoProg) nennt. Diese Gruppe lobbyiert dafür, dass Pflanzen aus Neuer Gentechnik (an deren Entwicklung die Mitglieder teils selbst beteiligt sind) keinen genauen Zulassungsprüfungen unterworfen werden und das Gentechnikgesetz entsprechend abgeändert wird. Ihr zentrales Argument scheint zu sein: Neue Gentechnik mache nichts anderes als das, was Natur und Züchtung auch machen. Dagegen ist Testbiotech für die Beibehaltung der bisherigen Zulassungspflicht und begründet diese Position mit wissenschaftlichen Analysen aus der Sicht von Umwelt- und Naturschutz.

Testbiotech stellt sich gerne, auch öffentlich, dieser Kontroverse – wenn sie auf sachlichen Argumenten beruht. Wir haben jedoch den Eindruck, dass es @forscherrrobert (zumindest) in diesem Fall nicht darum geht, tatsächlich wissenschaftliche Argumente auszutauschen. Stattdessen setzt er auf bekannte Mittel der Diskurssabotage wie absichtliches Missverstehen, Verdrehen von Aussagen, verbunden mit abwertenden Bemerkungen. Ein wissenschaftlicher Disput zu diesem Gutachten könnte nur in Gang kommen, wenn man zur Kenntnis nimmt, was das Gutachten tatsächlich aussagt und diese Inhalte auch berücksichtigt.

@forscherrobert versucht den Eindruck zu erwecken, dass er genau das tut. Er greift dazu Beispiele aus der erwähnten Tabelle auf und deutet sie um, ohne zu berücksichtigen, wie der Bericht mit der Tabelle verknüpft ist. Mit dieser Methode soll nicht nur der Inhalt der Tabelle, sondern vielmehr das ganze Gutachten in Frage gestellt werden – ein sehr durchsichtiges Manöver ohne ausreichende inhaltliche Substanz. Die von @forscherrobert angewandte Methode und seine Aussagen können also nicht überzeugen und sind ungeeignet, um in der Sache zu einer Klärung beizutragen. Sie scheinen vielmehr bewusst auf eine falsche Darstellung der im Gutachten genannten Inhalte abzuzielen. Der Forscher Robert Hoffie wäre gut beraten, in seinen öffentlichen Äußerungen mit ähnlicher Sorgfalt zu arbeiten, wie das auch im Labor nötig ist.

 

Link zum Bericht für den vzbv


Referenzen:

Acevedo-Garcia J., Spencer D.,  Thieron H., Reinstadler A., Hammond-Kosack K., Phillips A.L., Panstruga R. (2017) mlo-based powdery mildew resistance in hexaploid bread wheat generated by a non-transgenic TILLING approach. Plant Biotechnol J, 15: 367-378. https://doi.org/10.1111/pbi.12631

EFSA (2022) Scientific Opinion on the evaluation of existing guidelines for their adequacy for the food and feed risk assessment of genetically modified plants obtained through synthetic biology. EFSA J, 20 (7): 7410. https://doi.org/10.2903/j.efsa.2022.7410

Kawall K. (2021a) The generic risks and the potential of SDN-1 applications in crop plants. Plants, 10(11): 2259. https://doi.org/10.3390/plants10112259

Kawall K. (2021b) Genome edited Camelina sativa with a unique fatty acid content and its potential impact on ecosystems, Environ Sci Eur, 33: 38. https://doi.org/10.1186/s12302-021-00482-2

Nonaka S., Arai C., Takayama M., Matsukura C., Ezura H. (2017) Efficient increase of ɣ-aminobutyric acid (GABA) content in tomato fruits by targeted mutagenesis, Sci Rep, 7: 7057. https://doi.org/10.1038/s41598-017-06400-y

Spanu P.D. (2022) Slicing the cost of bread. Nature Plants, 8: 200–201. https://doi.org/10.1038/s41477-022-01115-z

Wang Y., Cheng X., Shan O., Zhang Y., Liu J., Gao C., Qiu J.-L. (2014) Simultaneous editing of three homoeoalleles in hexaploid bread wheat confers heritable resistance to powdery mildew. Nature Biotechnol, 32: 947-951. https://doi.org/10.1038/nbt.2969